Albanologie
print


Navigationspfad


Inhaltsbereich

Was ist Albanologie?

  1. Was heißt albanisch? – Die Herkunft der Albaner
  2. Gegenstand der Albanologie
  3. Ziele der Albanologie
    1. als historische und deskriptive Sprachwissenschaft
    2. als Literaturwissenschaft
    3. als Volkskunde
    4. als Geschichtswissenschaft
  4. Interdisziplinärer Charakter der Albanologie
    1. sprachwissenschaftlich
    2. historisch, wirtschaftswissenschaftlich u.a.

1. Was heißt albanisch? – Die Herkunft der Albaner

Der Name der Albaner wird zum ersten Mal beim alexandrinischen Geographen Claudios Ptolemaios (2. Jh. n. Chr.) erwähnt, der in seinem Werk Geographia (Tom I, Lib. III, Kap. 13, § 23) die Siedlungsgebiete der Volksstämme und die wichtigsten urbanen Zentren der damaligen (administrativ aufgeteilten) Landschaft Makedonien aufzeichnete. Ptolemaios gebraucht den Genitiv Plural (gr. Ἀλβανῶν). Das urbane Zentrum der von den Albanern bewohnten Gegend auf der westlichen Seite der Balkanhalbinsel soll die Stadt Albanopolis (gr. Ἀλβανόπολις) gewesen sein. Es muss eine kleine Stadt gewesen sein, ca. 35 km östlich der antiken Stadt Durrachium (gr. Δυρράχιον, alb. Durrës) an der Adria-Küste.

Wo die Stadt Albanopolis genau lag und wann sie mit diesem Namen getauft wurde, wissen wir nicht. Auch was mit ihren einstigen Einwohnern, den "Albanern" (gr. Ἀλβανοί) geschehen ist, ist uns unbekannt. Der Volksname Alban (alb. arbën/arbër "Albaner") hat keine Etymologie, keine "wahre Bedeutung", die zur Lösung solcher Rätsel beitragen würde.

Der Stadtname Albanopolis taucht in den Annalen der Geschichte erst ab dem 13. Jh. gelegentlich wieder auf. Die Stadt wird nun mit der Stadt (und dem Bischofssitz) Croia (= alb. Kruja) identifiziert, die jedoch diesen "neuen" Namen frühestens seit dem 9. Jh. trägt. Archäologische Befunde weisen auf einige Ruinen an einem nordöstlich von Kruja naheliegen Ort namens Zgërdhesh als letzte Reste des einstigen Albanopolis hin.

Anders als der Name der Stadt hat sich der Name ihrer Einwohner bis heute erhalten. Seit der ersten Hälfte des 11. Jh. ist er als Bezeichnung des albanischen Volks im Gebrauch. Im spätbyzantinischen Zeitalter hat er sich auf die gesamte albanische Sprachgemeinschaft ausgedehnt (weitere Volksnamen sind zeitlich abwechselnd im Gebrauch gewesen: Epirot zu Epirus, Makedoner zu Makedonien). Seit dem 18. Jh. ist ein neuer Volksname in Erscheinung getreten: shqipëtar (neben Shqipëri "Albanien"). Die Albaner in ihrem kompakten Lebensraum bezeichnen sich seither als shqipëtarë. Bei den umgebenden Nachbarvölkern und in den ältesten albanischen Siedlungen in Mittel- und Südgriechenland und Süditalien hat sich hingegen der alte Volksname durchgesetzt: gr. arvanites (ἀρβανίτες), serb.-maz. arbanas, it. albanese "Albaner".

Dieser Volksname reicht also bis in die Antike zurück, ist dort aber nur indirekt belegt. Ptolemaios erwähnt einen Orts- und Stadtnamen, wir erschließen daraus den Volksnamen Alban (gegisch Arbën / toskisch Arbër). Direkt belegt ist dieser Volksname zum ersten Mal in der byzantinischen Geschichtsschreibung des 11. Jh. (Michaelis Attaliotae historia, Jahr 1043: S. 10; Hg. W. Brunet, überarbeitet von I. Bekker, Bonn 1853). Hier wird den Albanern der Sonderstatus einer Gruppenidentität mitten in der Einflusszone der Latinoi (Λατινοί: Angehörige der weström. Kirche) und Romaioi (‛Ρωμαιοί: Angehörige der oström. Kirche) zuerkannt. Die Albaner, die mit dieser ausdrücklichen Erwähnung sozusagen ihren Eintritt in die Welt- und Balkangeschichte finden, erfreuten sich damals eines gewissen Autonomiestatus (sozial-kulturell, administrativ o. ähnl.?) in einer Gegend, die mit Ptolemaios' Nachweis vollständig übereinstimmt.

Es liegen aber acht dunkle Jahrhunderte zwischen Ptolemaios und dieser Nachricht. Und seitdem ist wiederum ein Jahrtausend verlaufen, während dessen die ethnische Identität der Albaner in ihrem heutigen Lebensraum sich weiter entwickelt hat.

Bei dieser Entwicklung gewinnt der Identitätsfaktor Sprache besonders an Bedeutung. "Die dem epirotischen Volk eigene Sprache, d.h. die albanische [Sprache], ist von der griechischen und ... der slawischen [Sprache] hinsichtlich der Sprechweise völlig verschieden, obwohl sie, weil zwischen den beiden Sprachgebieten [gelegen], gleichsam als Mittelding angesehen wird." (Franciscus Blancus: Dictionarum latino-epiroticum, Rom 1635; Kap. Annotationes de lingua & litteris Epirotarum, seù Albanesiorum, S. XIIf..) Es ist die albanische Sprache, die die Identität der Albaner und ihren Lebensraum von den umgebenden Sprachblöcken und weiteren Identitätskreisen am deutlichsten unterscheidet. Dieser Grundsatz ist in der Wissenschaft der Albanologie nicht neu. Sein Urheber ist aber erst in unserer Zeit entdeckt worden. Er heißt Frangu i Bardhë (Franciscus Blancus). Seinem intellektuellen Vermögen haben wir den Startschuss der albanologischen Forschung zu verdanken.

 

2. Gegenstand der Albanologie

Die Sprache, die Kultur, die Lebenstraditionen und nicht zuletzt die Geschichte der Albaner sind also die Hauptgegenstände der Wissenschaft, die wir heute als Albanologie kennen. Die Albanologie ist eine komplexe Wissenschaft. Ihre Einheitlichkeit ist zwar durch das Objekt gegeben: Albanisch im weitesten Sinne des Wortes. Alles, was sich auf die Sprache und das Volk der Albaner in Zeit und Raum bezieht, ist Forschungsgegenstand des Fachgebietes Albanologie. Aber in diesem umfassenden Gebiet ist eine Arbeitsteilung notwendig. Folgende Schwerpunkte ergeben sich innerhalb der Albanologie:

  1. Albanische Sprache
  2. Albanische Literatur
  3. Albanische Volkskunde
  4. Albanische Geschichte

Jeder dieser vier Schwerpunkte ist wiederum untergliedert. Allein die Punkte (1) und (2) entsprechen einem ganzen philologischen Fach wie der Germanistik oder der Slawistik. Wie dort ergeben sich für die Albanologie die Unterpunkte albanische Philologie, albanische Sprachgeschichte, albanische Grammatik u.a. Dazu kommen der volkskundliche und der geschichtliche Schwerpunkt. All diese Einzeldisziplinen sind notwendige Bestandteile der Albanologie, die je nach Forschungsrichtung – historisch (diachron) oder gegenwärtig (synchron) – ihr Grundziel verfolgt.

 

3. Ziele der Albanologie

Grundziel der Albanologie ist, die Sprache und die Kultur der Albaner von der Vergangenheit bis zur Gegenwart zu erforschen. Die Vergangenheit der Albaner ist nun aber nur durch wenige historiographische Schlaglichter beleuchtet. Wer "die Albaner" wirklich waren, wo und wie sie in früheren Zeiten gelebt haben, ist mangels historischer Urkunden und schriftlicher Überlieferung im großen und ganzen nur rekonstruierbar.

Der ethnische Lebensraum der Albaner im Laufe unserer Zeitrechnung ist zwar ziemlich eindeutig die westliche Balkanregion; alle bisher auf uns gekommenen Nachrichten weisen darauf hin. Die Albanologie berücksichtigt jedoch darüberhinaus auch den gesamten Siedlungsraum der Albaner von heute [auch Unteritalien sowie Mittel- und Südgriechenland].

Dies ist nicht so sehr deshalb, um unmittelbare Anknüpfungen an die eine oder andere Ethnie auf dem Balkan der Antike zu erzielen, sondern vielmehr um den fortdauernden Fluss der Balkankultur auf dem gesamten Gebiet zu verfolgen. Diese Kultur haben die Vorfahren der heutigen Albaner sich zu eigen gemacht, und sie haben sie im Verkehr mit anderen Balkan- und mediterranen Völkern stetig bereichert und weiterentwickelt.

In diesem Zusammenhang ist eine kulturethnische Grenzziehung zwischen albanisch einerseits und illyrisch, epirotisch, makedonisch ,thrakisch, altgriechisch und später balkanromanisch, byzantinisch oder südslawischandererseits öfters überflüssig.

So bewahrheitet sich die Aussage Albanien ist der archimedische Punkt, von wo aus wir die Forschungsaufgaben der älteren Balkangeschichte bezwingen müssen. (Georg Stadtmüller: Forschungen zur albanischen Frühgeschichte, in der Serie: Albanische Forschungen, Bd. 2, Wiesbaden 1966) Denn im Albanischen ist der einzige Rest einer altbalkanischen Sprach- und Kulturschicht erhalten, die auch auf andere Balkanvölker in der einen oder anderen Weise ausgestrahlt hat.

3.1. Als historische und deskriptive Sprachwissenschaft

hat die Albanologie die Ziele:

  1. sprachgeschichtliche Behandlung des Albanischen, seine Veränderung in Raum und Zeit und in Abhängigkeit von äußeren und inneren Faktoren,
  2. Beschreibung seines gegenwärtigen Systems in seiner dialektalen Ausprägung.

Anders als Fächer wie Germanistik oder Klassische Philologie, die heute auf eine reiche Forschungsgeschichte zurückblicken können, muss die Albanologie noch einige elementare Aufgaben bewältigen: Die albanische Sprachwissenschaft muss auch philologisch die frühesten Textdenkmäler des Albanischen in ihrer sprachlichen Eigenart verstehen und sprachwissenschaftlich interpretieren, um dann von ihnen ausgehend die Entwicklung der albanischen Sprache und ihrer Dialekte sowie der albanischen Kultur bis in die Gegenwart hinein zu verfolgen.

3.2. Als Literaturwissenschaft

befasst sich die Albanologie für die neuere Zeit (ab etwa der zweiten Hälfte des 19. Jh.) mit künstlerisch gestalteten Texten. Für die ältere Zeit dagegen beschäftigt sie sich tendenziell mit allen schriftlich überlieferten Sprachzeugnissen, künstlerischen, religiösen, wissenschaftlichen - mit dem gesamten Schrifttum, das von Schriftstellern und Gelehrten albanischer Abstammung verfasst oder im albanischen Siedlungsraum überliefert ist. So werden z.B. die in Latein geschriebenen Werke oder albanische Übersetzungen aus der klerikalen Literatur als Gemeingut der albanischen Literatur zusammengestellt.

3.3. Als Volkskunde

liefert die Albanologie Erkenntnisse über Lebenstraditionen und Geistesgeschichte der Albaner in verschiedenen Epochen - Bausteine des albanischen und zugleich balkanischen kulturellen Lebens, wie es sich noch heute in verschiedenen Regionen niederschlägt. Der gegenseitige Einfluss von neben- und miteinanderlebenden Kulturkreisen auf dem Balkan lässt sich am deutlichsten in der albanischen Kulturlandschaft erblicken, wo sich das Eigentümliche und das Ähnliche in Volksdichtung und Lebenstradition (Sitten, Gebräuche, Wertvorstellungen, Gewohnheitsrecht, Religionszugehörigkeit ...) ineinander verschlingen.  

3.4. Als Geschichtsforschung

arbeitet die Albanologie mit anderen Fächern zusammen. Auf albanische Quellen zurückgreifen kann sie für die Periode nach dem 11. Jh. n.Chr., als allmählich die Nachrichten über das soziale und politische Leben der Albaner unter byzantinischer, slawischer und türkischer Herrschaft bzw. - territorial begrenzt - in ihrem unabhängigen Staatswesen einsetzen. Die Geschichte vor dieser Zeitgrenze muss rekonstruiert werden. An der Rekonstruktion beteiligen sich andere wissenschaftliche Teildisziplinen, vor allem die Ethnolinguistik, Ethnohistorie und historische Anthropologie. Man arbeitet hier mit kombinierten Methoden aus Volkskunde, Sprachgeschichte, Namenforschung, Religionsgeschichte u. a.

 

4. Nachbarfächer der Albanologie

Von besonderer Bedeutung ist die interdisziplinäre Verknüpfung der Albanologie in der Vielfalt ihrer Teilgebiete mit anderen Wissenschaften, deren Gegenstand sich mit albanischem Stoff berührt.

4.1. sprachwissenschaftliche

Die albanologische Sprachforschung z.B. ist als linguistische Disziplin auf die theoretische Basis und das Instrumentarium der Allgemeinen Sprachwissenschaft angewiesen; als Wissenschaft vom Albanischen geht sie Hand in Hand mit Indogermanistik und Balkanlinguistik; eng verbunden ist sie auch mit der Slavistik (Schwerpunkt Bulgaristik, Serbokroatistik), Romanistik (Schwerpunkt Rumänistik) und Neogräzistik. Der hohe Grad der Vernetzung begründet sich im verschlungenen und außerordentlich vielfältigen Einflüssen ausgesetzten Entwicklungsweg des Albanischen.

Albanisch gehört zur indogermanischen Sprachfamilie, wo es, wie etwa Griechisch oder Armenisch oder Slavisch, einen besonderen, eigenständigen Sprachzweig vertritt. Trotz der stark abweichenden Veränderungen, die das Albanische im Laufe seiner Entwicklung erfahren hat, verfügt es über mehrere grammatische Merkmale, die in den früheren Entwicklungsstufen der indogermanischen Sprachen allgemein gültig waren, wie z.B. die Deklination des Substantivs mittels Kasusendungen oder die Konjugation des Verbs durch Personalendungen. Der albanische Wortschatz enthält ebenfalls eine beträchtliche Anzahl von primären und abgeleiteten Wörtern, die unmittelbar auf den urindogermanischen Wortschatz zurückgehen. Im systematischen historischen Vergleich mit den anderen indogermanischen Sprachen lassen sich die früheren Entwicklungsstufen des Albanischen rekonstruieren.

Innerhalb des südosteuropäischen Sprachareals lässt sich das Albanische zugleich als typische Balkansprache betrachten, da es mit anderen Sprachen der Region mehrere neuentwickelte sprachliche Erscheinungen gemeinsam hat, wie u.a. die Postposition des bestimmten Artikels, den Verlust des Infinitivs bzw. dessen Ersetzung durch Konjunktivkonstruktionen, die Bildung des Futurs mittels des Modalverbs do "wollen" (in erstarrter Form), die Verdoppelung des Objektes durch proklitische Formen des Personalpronomens u.a. Es handelt sich hier um Konvergenzerscheinungen, die unter typologischem Aspekt im Rahmen der Sprachkontaktforschung behandelt werden können. Auch über diese speziell 'balkanischen' Eigenschaften hinaus zeigt das Albanische viele Spuren fremder Einflüsse: alt-, mittel- und neugriechische, lateinische, romanische, südslawische, türkische u.a.  

Neben den gemeinsamen Merkmalen mit anderen indogermanischen und Balkan-Sprachen, die das Albanische entweder ererbt oder im Laufe der Zeit aufgrund der sprachlichen Konvergenz im Balkanareal weiter entwickelt hat, hat es noch ganz spezielle Merkmale angenommen. Im phonologischen System des Standardalbanischen (mit 29 Konsonanten und 7 Vokalen) ist u.a. eine Tendenz zur Dichotomie der Konsonanten zu verzeichnen, die auch die Sonoranten (Liquide und Vibranten) erfasst hat. So wie in den germanischen Sprachen ist die Erscheinung des Umlauts aufgetreten. Im Nominalsystem fungiert neben dem nachgestellten bestimmten Artikel noch ein vorangestellter Artikel, der die Umstrukturierung der Klasse der Adjektive, der Ordinalia u.a. mitgeprägt hat. Im albanischen Verbalsystem hat sich ein Admirativsystem mit besonderen paradigmatischen Verhältnissen entwickelt. Diese Erscheinungen werden im Rahmen der systematischen Erforschung der albanischen Sprache ermittelt und typologisch oder kontrastiv dargestellt.

4.2. historische, wirtschaftswissenschaftliche u.a.

Wenn auch die Albanologie von ihrem Gegenstand her als selbständiges Studienfach zu gelten hat, macht ihr interdisziplinärer Charakter die Kombination der Albanologie mit Nachbarfächern wie z.B. Indogermanistik, Allgemeine Sprachwissenschaft, Balkanologie, Slavistik (Schwerpunkt Bulgaristik, Serbokroatistik), Romanistik (Schwerpunkt Rumänistik) oder Neogräzistik für Studierende sehr attraktiv. Auch andere Kombinationen, wie z.B. Geschichte Osteuropas und Südosteuropas, Völkerkunde oder Wirtschaft Ost- und Südosteuropas (im Rahmen der Betriebswirtschaftslehre), erscheinen sinnvoll.