Albanologie
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Blockveranstaltung von Dr. Eckehard Pistrick

Am Freitag, den 03.07.2015, hielt Dr. Eckehard Pistrick eine Blockveranstaltung zum Thema: "Klanggemeinschaft" – Musikalische Praktiken und Identitäten im postkommunistischen Albanien. In der rund vierstündigen Veranstaltung wurde eine genaue Darstellung der Entwicklung des polyphonen Gesangs in Südalbanien von der Nachkriegszeit bis in die Gegenwart gegeben. Anschließend wurden einige Auszüge aus dem Dokumentarfilm "Polyphonia-Albaniens vergessene Stimmen" (B. Reinhardt/E. Pistrick, 2012) gezeigt, welcher u.a. den Fortbestand dieser oralen Musiktradition in einer kleinen abgeschiedene Ortschaft in Mittelalbanien darstellte.

03.07.2015

Der Vortrag begann mit einer Einbettung des polyphonen Gesangs in einem breiten Balkankontext: So ist polyphoner Gesang nicht nur in Südalbanien verbreitet, sondern auch in weiten Teilen Mazedoniens, Kroatiens, Griechenlands und Bulgariens. Nichtsdestoweniger hebt sich der polyphone Gesang aus der Region Südalbaniens, auch Iso-Polyphonie genannt, deutlich ab und hat vor allem in der letzten Hälfte des 20. Jahrhunderts einschneidende Veränderungen erfahren. Diese Veränderungen gehen Hand in Hand mit einem Verlust regionaler Individualität bzw. einer zunehmenden Vereinheitlichung sowie einer Einbettung in moderne Musikrichtungen.

Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts lassen sich klare Einflüsse ausländischer Musikrichtungen in der albanischen (balkanischen) Kulturlandschaft nachweisen, welche mit einer wachsenden Beliebtheit instrumentaler (Unterhaltungs-)Musik einhergingen, wodurch traditionelle und folkloristische Musiktraditionen, darunter auch die A cappella gesungene Iso-Polyphonie, zurückgedrängt wurden. Diese Entwicklung wurde sehr anschaulich anhand einiger befragter Personen dargestellt: während viele von ihnen in den 50. Jahren Texte ganzer polyphoner Volkslieder vortragen konnten, waren ihnen rund 50 Jahre später nun noch einige wenige Passagen dieser Lieder bekannt.

In der Tat ist Iso-Polyphonie als integraler Bestandteil des Alltagsleben seit langem in den meisten Regionen Südalbaniens verschwunden, dennoch sorgt der Status der albanischen Iso-Polyphonie als UNESCO-Weltkulturerbe und ihre gezielte Pflege in professionellen Chören für ihren Fortbestand bis in die heutige Zeit. Maßnahmen dieser Art sind, wie so häufig, mit einem Verlust regionaler Individualität verbunden, was allein aufgrund der tiefgreifenden demographischen und kulturellen Veränderungen in den letzten Jahrzehnten unausweichlich war. Eine Instrumentalisierung des iso-polyphonen Gesangs lässt sich während der Zeit des kommunistischen Regimes feststellen, in der vor allem dem damaligen Regime-Führer, Enver Hoxha, ganze nationalistische Lobeshymnen im Gewand albanischer Volkslieder vorgesungen wurden.

Von einem Verlust des Iso-polyphonen Gesangs lässt sich demnach nicht sprechen, zumal gerade in heutiger Zeit viele alte Traditionen gerne zu feierlichen Anlässen wieder aufgegriffen werden. Die derzeitige Entwicklung spricht eher für eine Einbettung von Elementen iso-polyphonen Gesangs in moderne Musikrichtungen, wenngleich die meisten dieser ausschließlich Unterhaltungswert haben und verstärkt von Instrumenten Gebrauch machen. Einen kleinen Einblick in die ursprünglichen Verhältnisse lieferte anschließend der Dokumentarfilm: "Polyphonia-Albaniens vergessene Stimmen" von B. Reinhardt und E. Pistrick aus dem Jahre 2012. Einige Filmauszüge zeigten das alltägliche Leben muslimischer rund orthodoxer Gemeinschaften in einer abgeschiedenen und ärmlichen Region im Osten Mittelalbaniens. In der Tat sind es nur noch diese vernachlässigten Gebiete außerhalb größerer Ballungsräume, in denen man noch hin und wieder iso-polyphonen Gesang in seiner „unverfälschten“ Form hören kann – so wie einst in ganz Südalbanien.